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  • AutorenbildRamon Spiegel

Neues EU-Klimaziel: Auf dem Weg zur Klimaneutralität?

Am Dienstag verkündete die Europäische Kommission ein neues Klimaziel: Bis 2040 sollen die Treibhausgasemissionen gegenüber den Werten aus 1990 um 90 % reduziert werden. Es handelt sich um ein weiteres Zwischenziel auf dem Weg zur geplanten Klimaneutralität im Jahr 2050. Was hinter dem neuen Ziel steckt und wie es sich in das Europäische Klimaschutzrecht einfügt, wird hier in Kürze erklärt.


Was bisher geschah: der „Green Deal“

Der „European Green Deal“ ist ein (oder besser: „das“) Klimaprojekt der EU. Er wurde 2019 beschlossen und stellt einen Fahrplan mit dem Ziel dar, bis 2050 Klimaneutralität auf dem Kontinent zu erreichen. Klimaneutralität bedeutet, in einem Jahr nicht mehr Treibhausgasemissionen freizusetzen, als wieder abgebaut werden (zB durch Böden, Wälder und Ozeane), somit eine Klimabilanz von netto Null zu erzielen.

Um das zu schaffen, braucht es natürlich eine Reihe von Rechtsvorschriften in verschiedensten Bereichen. Daher umfasst der Green Deal ein Maßnahmenpaket namens „Fit for 55“, mit dem die politischen Klimaziele in Rechtsakte übertragen werden. Es geht hier vor allem darum, die bestehenden EU-Rechtsvorschriften zu überarbeiten bzw. aktualisieren und so die Weichen für die Klimaneutralität zu legen. Als eines von vielen Beispielen sei hier nur das Emissionshandelssystem erwähnt – das wichtigste Instrument der EU zur Verringerung von Emissionen.


Mehr dazu (Wie der Emissionshandel funktioniert).

Nach der derzeit bestehenden Emissionshandels-Richtlinie der EU benötigen bestimmte Tätigkeiten, die besonders viel CO2 ausstoßen (zB Luftverkehr, industrielle Tätigkeiten), eine Berechtigung für den Ausstoß von Emissionen. Diese Berechtigung erhalten sie in Form von Emissionszertifikaten – ein solches Zertifikat berechtigt zum Ausstoß einer Tonne CO2 (bzw CO2-Äquivalent). Das System baut darauf auf, dass den Mitgliedstaaten der EU eine Obergrenze auferlegt wird, wie viel CO2 die betroffenen Anlagen insgesamt ausstoßen dürfen. Die Mitgliedstaaten geben dann eine entsprechende Menge an Zertifikaten an die Anlagen aus (teilweise kostenlos, in der Regel aber kostenpflichtig). Die Emissionszertifikate können auch gehandelt werden; somit bildet sich ein Preis für den Ausstoß von Emissionen – dadurch werden bei den Unternehmen Anreize geschaffen, ihre Emissionen zu verringern. Das „Fit for 55“-Paket sieht vor, die Anzahl der Zertifikate mit der Zeit zu reduzieren, sodass der Preis steigt und weitere Einsparungsanreize erzeugt werden. Außerdem wird der Anwendungsbereich des Systems auf den Seeverkehr ausgedehnt.


Der Name „Fit for 55“ rührt übrigens daher, dass sich die EU das Zwischenziel gesetzt hat, bis 2030 ihre Treibhausgasemissionen um mindestens 55 % gegenüber dem Jahr 1990 zu senken.


Dieses Zwischenziel, sowie das Hauptziel der Klimaneutralität im Jahr 2050, sind mit dem Europäischen Klimagesetz aus dem Jahr 2021 zu einer rechtlichen Verpflichtung für die Mitgliedstaaten geworden. Es enthält verschiedene Maßnahmen – neben der bereits erwähnten Verpflichtung zur Erreichung der Klimaziele ist auch die Einführung eines Systems vorgesehen, mit dem die Fortschritte auf dem Weg zum Klimaziel überwacht und berichtet werden. So ist etwa (in einer speziellen Verordnung) vorgesehen, dass die Mitgliedstaaten nationale Energie- und Klimapläne an die Kommission übermitteln, in denen sie ihre nationalen Klimaschutz-Ziele und Maßnahmen präsentieren (über diesen Bericht ist übrigens unlängst Streit innerhalb der österreichischen Regierung entfacht, weil man sich uneinig war, welches Ministerium dafür zuständig ist).


Wie sich die angestrebte Treibhausgasreduktion zwischen den einzelnen Mitgliedstaaten aufteilt, ergibt sich aus der Lastenteilungs-Verordnung. Dort ist – abhängig von der wirtschaftlichen Stärke des jeweiligen Mitgliedstaates – ein konkreter nationaler Prozentsatz vorgegeben, um den der Mitgliedstaat seine Emissionen bis 2030 senken muss (Emissionen aus Sektoren, die dem Emissionshandelssystem unterliegen, zählen nicht dazu). Für Österreich beträgt dieser 48 % im Vergleich zu 2005. Auch jährliche Ziele sind vorgegeben. Schafft es der Mitgliedstaat nicht, seine Ziele einzuhalten, kann es für ihn teuer werden: Er muss dann eine entsprechende Menge an Emissionszertifikaten nachkaufen, um seine Über-Emissionen zu kompensieren, wobei es eine Höchstgrenze gibt. Das sind schlechte Nachrichten für die Republik, zumal sie die geforderten 48 % laut österreichischem Energie- und Klimaplan um satte 13 Prozentpunkte verfehlen wird. Nach einem Bericht des Rechnungshofs ist daher mit Kompensationszahlungen für den Ankauf von Emissionszertifikaten von bis zu 9,214 Milliarden Euro zu rechnen.


Nicht mitspielen ist übrigens auch keine günstige Option: Sollte sich ein Mitgliedstaat weigern, sich an die Vorgaben zu halten, kann gegen ihn ein Vertragsverletzungsverfahren eingeleitet werden, wodurch dem unkooperativen Mitgliedstaat unter Umständen empfindliche Strafzahlungen auferlegt werden können.


Neues Etappenziel bis 2040

Das neue Zwischenziel bis 2040 lautet also, 90 % der Treibhausgasemissionen im Vergleich zu 1990 zu senken. Warum schon wieder ein neues Zwischenziel, und warum 90 %? Der Grund für das neue Ziel ist das Pariser-Klimaschutzabkommen. Dieses Abkommen sieht vor, dass sich die Staaten selbst alle fünf Jahre Klimaziele setzen, um die Erderwärmung insgesamt auf unter 1,5 Grad Celsius einzudämmen. Auch die EU hat dies zu tun, daher das neue Zwischenziel. Bei den 90 % handelt es sich um den Wert, den das wissenschaftliche Expertengremium der EU-Kommission für mindestens notwendig hält, um das Klimaziel bis 2050 zu erreichen. Dass dann noch „ganze“ 10 Jahre Zeit für die endgültige Klimaneutralität sind, hängt unter anderem damit zusammen, dass die letzten Prozent der Emissionen am schwierigsten zu vermeiden sind.


Um die Vorgabe zu bewältigen, sind Maßnahmen in Bereichen wie Energie, Industrie, Verkehr und Landwirtschaft vorgesehen. Einer der wichtigsten Punkte ist, dass Strom 2040 praktisch ohne fossile Emissionen erzeugt werden und hauptsächlich aus erneuerbaren Energieträgern stammen soll. Unter dem Stichwort Dekarbonisierung sollen fossile Energieträger insbesondere im Energie- und Verkehrssektor deutlich reduziert werden. Eine umstrittene Maßnahme stellt dabei die von der Kommission befürwortete Methode des „Carbon Dioxide Capture and Storage“ dar. Gemeint ist das Einfangen und unterirdische Speichern von CO2. Untechnisch erklärt wird dabei das in Industrieanlagen produzierte CO2 in aufwändigen Verfahren verflüssigt und dann in den Untergrund gepresst und eingelagert. Während manche Expertinnen teils auf die klimapolitische Notwendigkeit dieser Verfahren verweisen, meinen andere, dass die Verfahren selbst energieaufwendig seien und Gefahren durch undichte Lagerungen entstehen könnten.


Aus rechtlicher Sicht ist wichtig zu betonen, dass dieses neue Zwischenziel bislang nur eine Empfehlung ist. Damit sie verbindlich wird, braucht es noch einen Gesetzgebungsvorschlag der Kommission, der vom Europäischen Parlament sowie dem Rat abgesegnet werden muss. Damit ist aber erst nach der Europawahl Anfang Juni zu rechnen.


Und bei all den Zielsetzungen sollte nicht außer Acht gelassen werden, dass diese auch eingehalten werden müssen, um tatsächlich etwas zu bewirken. Derzeit sieht es aber danach aus, dass die Mitgliedstaaten der EU nicht einmal ihre Ziele für 2030 einhalten.


Kurz gesagt:

  • Der „European Green Deal“ ist das Klimaprojekt der EU mit dem Ziel, bis 2050 klimaneutral zu werden. Als Zwischenziel wurde festgesetzt, die Treibhausgasemissionen bis 2030 um 55 % im Vergleich zum Jahr 1990 zu senken.

  • Die Ziele sind durch das Europäische Klimagesetz rechtlich verbindlich, bei Verstößen droht unter anderem ein Vertragsverletzungsverfahren. Das Maßnahmenpaket „Fit for 55“ sieht verschiedenste Rechtsakte vor, die neue Klimamaßnahmen enthalten und bestehende Regelungen ändern bzw. aktualisieren.

  • Das neue Zwischenziel bis 2040 sieht eine Reduktion der Emissionen um 90 % im Vergleich zu 1990 vor. Um verbindlich zu werden, muss noch ein entsprechender Gesetzesvorschlag eingebracht und verabschiedet werden, was jedoch voraussichtlich erst nach der Europawahl Anfang Juni geschehen wird.


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